Zurück zur Übersicht Presse - Jork - 16. - 17. Juni 2007 - leider nicht sehr prickelnd

Schwertkampf, Hirsebrei und Felllager

Tempelritter präsentierten sich beim Dorffest in Holm-Seppensen. Am Jorker Hafen landeten die Wikinger.

Von Thomas Sulzyc erschienen am 18. Juni 2007 im Hamburger Abendblatt
Holm-Seppensen/Jork

Leben wie vor 1000 Jahren. Zumindest für eine kurze Zeit ohne Handy, MP3-Player und elektrischen Strom. Am Morgen mühsam Feuer machen statt den Herd anzuschalten. Hirsebrei zum Frühstück statt Brötchen mit Marmelade. Grobe Leinenkleidung und keine Jeans. Auf Fellen schlafen statt im Bett. Das realistische Nachstellen des Lebens (auch "Reenactment" genannt) unserer Urahnen fasziniert offenbar immer mehr Menschen. Am Wochenende ließen Männer, Frauen und Kinder gleich zweimal in der Region das Mittelalter aufleben: 200 Wikinger schlugen ein Lager am Jorker Yachthafen auf. Und beim Dorf- und Museumsfest in Holm-Seppensen trafen Ritter des geheimnisvollen Templerordens zusammen.

Wenn der 41 Jahre alte Vertriebsingenieur York Lattemann aus Buchholz zum Templer wird, nennt er sich Bruder Konrad von Eschenau. Zusammen mit vier Gleichgesinnten stellt er die "Komthurey Hammaburch" dar: ein fiktives Ordenshaus, wie es typisch im 12. und 13. Jahrhundert war. Die Männer verarbeiten Leder zu Schuhen, ziehen Kerzen und üben im Kettenhemd die Kampfkunst mit dem Schwert. Denn die Tempelritter boten Pilgern Schutz auf dem Weg nach Jerusalem. Einziger Luxus aus der Neuzeit: Toilettenpapier ist erlaubt.

Die Templerdarsteller wollen möglichst authentisch sein. Ritterromantik ist nicht ihre Sache. Das ist mühselig: "Es dauert alles länger", berichtet York Lattemann. "Man muss morgens erst Feuer entfachen, um etwas Warmes trinken zu können." Die Männer nähen ihre Kleidung selbst. "Es ist ein Hobby, bei dem man sich über eine lange Zeit weiterentwickeln kann", schwärmt "Bruder Konrad". Schmunzelnd gesteht der Hamburger Verwaltungsbeamte Craig McGrainley alias Bruder Hermann von Scharffenstyn: "Ich bin mit dem Mittelalter-Gen infiziert." Und das wirkt sich im 21. Jahrhundert so aus: "Mein Haus erinnert an ein begehbares Museum."

Noch weit vor die Ära der Tempelritter führt die Zeitreise am Jorker Yachthafen: in die Wikinger-Zeit vom späten 7. bis ins 10. Jahrhundert. Die 200 Wikinger-Darsteller nehmen es etwas weniger genau mit der Authentizität. Kleine "Fehler" wie die Versorgung mit Kartoffelsalat und Bier sind erlaubt. Das "Reennactment" ist heute auch ein Geschäft. "Ich bin ein professioneller slawischer Krieger", sagt Igor Gorewicz auf Englisch über sich selbst. Der 31-jährige Pole ist hauptberuflich Wikinger und organisiert Messen und Märkte. Beeindruckend sind auch seine martialischen Schwertkampfeinlagen. 150 Tage im Jahr, sagt er, schläft er auf Fellen in Zelten.

Hobby-Wikinger sind dagegen rund 10 Männer, Frauen und Kinder aus Bremen um den Sozialpädagogen Oliver Pertzsch (36) und die Museumspädagogin Annette Fischer (40). Sie leben wie eine Sippe - möglichst so wirklichkeitsnah wie im Jahr 850. Wikinger betrieben Tauschhandel. Deshalb produziert Oliver Pertzsch Holzwaren, um sie im Lager zu tauschen.

Kohl, Grütze, Fladenbrot, ein wenig Fisch oder Fleisch. Es wird nur gegessen, was die Wikinger früher kannten. "Für unsere Verhältnisse langweilig", gesteht Annette Freier ein. Viele schmackhafte Gewürze waren damals eben noch nicht bekannt. Die Kinder Prisca (12), Freya (10) und Thekla (9) lernen das Kammweben. Wikinger-Kinder, das wissen sie, stiegen bereits ab dem sechsten Lebensjahr in das Erwerbsleben der Familie ein.

Die Bremer Kinder haben Uhren, Handys und MP3-Player im Auto zurückgelassen. Dafür dürfen Süßigkeiten in kleinen Mengen ins Lager. Auch eine Isoliermatte ist gestattet. Das Schlafen im Wikingerlager ist hart genug: "Die Felle", verrät Freya (10), "kratzen und kitzeln".