Nationalpark Jasmund

Er ist der kleinste Nationalpark Deutschlands und zugleich einer der am meisten besuchten; seine Kreidefelsen sind längst zu einem der Wahrzeichen des gesamten Ostseeraums geworden und seine Buchenwälder zählen seit 2011 zum UNESCO-Welterbe: Der Nationalpark Jasmund bietet auf wenig Fläche eine große Zahl unterschiedlicher, faszinierender Naturräume. 

In bewährter Manier stellt Jürgen Reich die natürlichen Besonderheiten und die trotz der Schutzmaßnahmen weiterhin bestehenden Gefährdungen durch menschliche Einflüsse vor. Mit viel Gefühl und Sinn für die Atmosphäre, die diese spezielle Küstenregion ausstrahlt, erzählt er mitreißend vom wiederkehrenden Kreislauf der Jahreszeiten und den dauernden Veränderungen, vom Wegbrechen der Ufer und der Stille im Wald, vom Leben der Tiere und von ungewöhnlichen Pflanzen.

Entstanden ist ein äußerst lebendiges Porträt, das mit jedem Wort und in jedem Bild spüren lässt, wie besuchens- und bewahrenswert diese einmalige Landschaft ist.

 ISBN-10 : 3939172723

Leseprobe

Eingefangen von der Stille gehe ich fast schon bedächtig unter den breiten Kronen auf die deutlich hellere Küste zu. Mit jedem Schritt wird die Sicht besser und unmittelbar an der Steilkante sogar richtig frei. Ein Stück weit zu beiden Seiten ragen Bäume und Kreideklippen aus der Tiefe empor, nur das Meer ist weg! Der Blick schweift über und durch ein völlig gleichförmiges Hellgrau. Egal, ob man ganz nach unten schaut, in die gewohnte Richtung wo sonst die Horizontline zu finden ist oder nach oben, überall das gleiche schmucklose Nebelgrau.

Die Sonne war schon vor zwei Stunden aufgegangen, aber selbst dort, wo sie erfahrungsgemäß stehen müsste, wenigstens als helle Stelle angedeutet, gibt es keinen Unterscheid in der Helligkeit. Eigentlich müsste jetzt die Fähre gar nicht soweit draußen auf der unsichtbaren Wasserstraße mit tiefen Gebrubbel vorbeikommen oder wenigstens ein paar Fischkutter beim Herbstheringsfang vor Saßnitz heran tuckern, aber der Nebel scheint wirklich jeden nur möglichen Laut vollständig zu verschlucken. Zu sehen ist ohnehin da draußen überhaupt nichts. Eine mystische Atmosphäre. 

An einer Stelle der Abbruchkante, wo es sicher war, weil dort schon viele Füße auf breiten Wurzeltellern standen, trete ich vorsichtig bis an den äußersten Rand. Jetzt plötzlich und erst an diesem Punkt dringt ganz deutlich das Geräusch einer winzig kleinen Brandung bis hier herauf. Eigentlich kann es nur das Auslaufen, das Dahindümpeln müder Sonntagswellen sein. Von einer Brandung zu sprechen wäre eigentlich lächerlich, so winzig müssen die Wellen da unten sein. 

Der helle Laut des Flints ist es eigentlich nur, den das überschrubbelnde Wasser verursacht. Er schafft es bis an die Oberkante zu gelangen. weiter nicht. Nur wenige Schritte zurück ist davon nichts mehr zu vernehmen. Auch fehlt heute das Brandungsecho aus den Buchenkronen vollständig. Das Meer ist also noch da! Ebenso der Strand. Der Nebel schafft eine eigenartige Stimmung über dem unsichtbaren Meer, von dem nur das leise Klirren zu hören ist, die mich gefangen nimmt.